Gesundheitschecks: keine Wirkung, aber von Bedeutung? 
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Gesundheitschecks: keine Wirkung, aber von Bedeutung? 

In vielen Ländern gehören umfassende Gesundheitsuntersuchungen zum festen Bestandteil der Präventionsmaßnahmen. In Deutschland wird sie zum Beispiel „Check-up 35“ genannt, in Österreich „Gesundheitsuntersuchung“. Sie sind oft mit Präventionsberatungen verbunden und sollen dazu beitragen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen und Gesundheitsrisiken zu verringern – ganz im Sinne des bekannten Leitsatzes: „Vorbeugen ist besser als heilen!“ 

Allgemeine Gesundheitschecks fuhren demnach im Durchschnitt weder zu einer hoheren Lebenserwartung noch zu einem besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung, auch wenn einzelne Personen durchaus profitieren können. Zudem verursachen solche Screenings Kosten und können unerwünschte Folgen haben, etwa belastende Fehlalarme und unnötige Behandlungen.

Trotzdem sind Gesundheitschecks bei zahlreichen Personen sehr beliebt. Weshalb ist das so? Welche Werte, Erfahrungen oder Bedürfnisse stehen hinter dieser Haltung? Und was bewirkt bei anderen, dass sie Gesundheitschecks mit Skepsis oder sogar Ablehnung begegnen? Ein achtköpfiges Team unter der Leitung von Isolde Sommer bei Cochrane Österreich an der Universität für Weiterbildung Krems hat diese Fragen untersucht. Ihre qualitative Evidenzsynthese vereint den aktuellen Forschungsstand und konzentriert sich auf die Wahrnehmungen und Erfahrungen derjenigen, die allgemeine Gesundheitschecks durchgeführt haben oder diese selbst in Anspruch genommen haben. In die Übersichtsarbeit sind auch die Perspektiven von politischen Entscheidungsträger*innen und Programmverantwortlichen eingeflossen. 

Qualitative Evidenzsynthese: Welche Studienarten wurden einbezogen?

Das Team um Isolde Sommer sichtete 146 qualitative Studien für die qualitative Evidenzsynthese und wählte gezielt 36 aus, um verschiedene geografische Regionen, Personengruppen und Gesundheitssysteme abzudecken. Als Erstes wurden aus Interviews, Fokusgruppen und Beobachtungen zentrale Aussagen extrahiert. Danach wurden diese Aussagen in wiederkehrende Muster geordnet und schließlich zu übergeordneten Konzepten verdichtet. Für jedes Ergebnis wurde mit dem international anerkannten methodischen Ansatz GRADE-CERQual geprüft, wie hoch das Vertrauen in die Evidenz ist. Dies geschah anhand der Kriterien „methodische Einschränkungen“, „Kohärenz“, „Angemessenheit der Daten“ und „Relevanz“. 

Was die dauerhafte Popularität von Gesundheitschecks ausmacht 

Mit einer qualitativen Evidenzsynthese können wir verstehen, warum Gesundheitschecks trotz begrenzter Wirksamkeit Bestand haben. Sie zeigt, welche Rollen zum Beispiel Kommunikation, kulturelle Faktoren, finanzielle Anreize oder politische Einflussnahme spielen – Aspekte, die in quantitativen Analysen unsichtbar bleiben”, sagt Sommer.

Damit liefert Sommers Review keine Gegenposition zu dem bereits erwähnten quantitativen Review aus, sondern schlicht eine andere, ergänzende Perspektive auf das Thema „Gesundheitschecks”. Die Ergebnisse von Isolde Sommer und ihrem Team zeigen nämlich, dass Gesundheitschecks in sehr verschiedenen Zusammenhängen eine Rolle spielen – und für Individuen und Institutionen Bedeutungen haben, die über einen eng definierten medizinischen Nutzen weit hinausgehen.

Zwischen Motivation und Vorbehalt

So befürworten manche Menschen, die Gesundheitschecks in Anspruch nehmen, diese Untersuchungen, weil sie darin eine Motivation zu einem gesunden Lebensstil sehen oder sich dadurch mehr Gewissheit über den eigenen Gesundheitszustand erhoffen. ,,Sie suchen beim Gesundheitscheck die Bestatigung durch Fachpersonal, dass sie ,auf dem richtigen Weg’ sind”, fasst Sommer zusammen. Viele Teilnehmende erwarten sich für ihr Sicherheitsgefühl auch möglichst umfassende Untersuchungen – nach dem Motto: je mehr Tests, desto besser.”

Doch auch Gründe für Zurückhaltung oder Ablehnung kamen in der qualitativen Evidenzsynthese zutage. Dazu zählen die Sorge vor belastenden Untersuchungsergebnissen ebenso wie ein geringes Vertrauen in das Gesundheitssystem. Mitunter werden Arztinnen auch “nur” als Anlaufstelle bei Krankheit gesehen, aber nicht als Ansprechpartner für Fragen der Prävention. Praktische Hurden wie Zeitmangel oder hohe Kosten wurden mehrfach genannt. Ich habe keine Zeit für Untersuchungen, ich muss arbeiten und Geld verdienen”, so ein Studienteilnehmer aus Südkorea.

Nahe schaffen

Auch Arzt*innen und andere Gesundheitsdienstleister*innen haben unterschiedliche Haltungen zu Gesundheitschecks: Viele sehen darin eine Gelegenheit, mit ihren Patient*innen ausführlicher ins Gespräch zu kommen und ganz individuelle Betreuung zu leisten – etwas, das im eng getakteten Praxisalltag sonst oft zu kurz kommt.

Gleichzeitig zeigt das aktuelle Review, dass Arztinnen und Gesundheitsdienstleisterinnen Gesundheitschecks durchaus kritisch sehen: Solche Untersuchungen durchzuführen, kann organisatorisch und finanziell belastend sein. Ausserdem stehen die praventiven Massnahmen in Konkurrenz zu kurativen Behandlungen. Manche äußerten Zweifel, ob Check-ups überhaupt jene Personengruppen erreichen, die am meisten profitieren würden.

Ausserdem gibt es Arzt*innen, die die grundsätzliche Wirksamkeit dieser Programme in Frage stellen oder zumindest die Check-ups stärker auf das individuelle Risikoprofil ihrer Patient*innen zuschneiden möchten”, berichtet Erstautorin Sommer.

Politik der Vorsorge

Für politische und administrative Entscheidungsträger*innen sind Gesundheitschecks oft ein fixer Bestandteil von Präventionsstrategien. Laut der qualitativen Evidenzsynthese von Sommer und ihren Kolleginnen hängt die Umsetzung dieser Checkups von einem gunstigen politischen Umfeld und klaren gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. Die Bewertung von Gesundheitschecks stützt sich also auch hier nicht allein auf wissenschaftliche Daten, sondern auch auf politische und gesellschaftliche Faktoren.

Die vielen Definitionen von Wirksamkeit

Die acht Autorinnen aus Österreich ziehen folgendes Fazit: Allgemeine Gesundheitschecks werden, unabhängig von ihrer medizinischen Wirksamkeit, auf verschiedenen Ebenen geschätzt und genutzt oder angeboten. Offenbar decken sie Bedürfnisse ab, die in den unterschiedlichen nationalen Gesundheitssystemen nur selten Berücksichtigung finden – wie beispielsweise das Bedürfnis nach individueller Zuwendung und detaillierter Kommunikation.

Die Autorinnen der Review heben hervor, dass zukünftige Präventions- und Gesundheitsförderungsstrategien dies einbeziehen sollten – sowohl bei ihrer Weiterentwicklung als auch bei einer möglichen Neuausrichtung. Zugleich ist sicherzustellen, dass die Gesundheitschecks auf wissenschaftlicher Evidenz basieren und ökonomisch verantwortbar sind.